Persönlichkeit, Metapersönlichkeit und Flexibilisierung von Erleben und Verhalten

Aktuelle Verhaltensforschung und neurowissenschaftliche Studien sind sich einig über die generelle Veränderbarkeit unserer inneren Zustände. Die inneren Zustände - womit sowohl neurophysiologische Zustände als auch mental-emotionale Zustände gemeint sind - werden zunehmend aus der Perspektive ihrer Beeinflussbarkeit gesehen, anstatt deterministisch aus dem Blickwinkel der Vergangenheit oder der Persönlichkeit.

Die Persönlichkeitsforschung kann die neuen Erkenntnisse darüber, wieviel Einfluss wir tatsächlich auf unsere Zustände haben, weiterhin mit dem Anspruch einer aus einer zeitlich stabilen Persönlichkeitsstruktur folgenden Neigung zu Erleben und Verhalten vereinen, solange sie den eigenen Einfluss nicht als deterministisch, sondern stochastisch sieht. Das bedeutet, dass die Persönlichkeit vermutlich nur die Wahrscheinlichkeit erhöht, etwas auf eine oder andere Art zu erleben, oder sich auf die ein oder andere Art zu verhalten, als ein bestimmtes Verhalten oder Erleben tatsächlich zu forcieren.

Das hat große Implikationen für unsere Betrachtungsweise von Psychotherapie, Persönlichkeit, sowie der Bedeutung von inneren Zuständen. Denn sehen wir beispielsweise Verhalten noch primär aus dem alten Paradigma, also aus unserer Persönlichkeit kommend, so werden wir keine andere Wahl sehen, als unsere Persönlichkeit zu erforschen und zu verändern, um eine tiefgreifende Änderung unseres Verhaltens zu bewirken. Wir können hier, stark vereinfacht, die psychodynamischen, systemischen sowieo humanistischen Ansätze zusammenfassen. Andersherum würden wir durch eine durch wiederholte Verhaltensänderung durchgesetzte Änderung als sich auf die Persönlichkeit Einfluss nehmend vermuten. Hierzu können wir - wieder stark vereinfacht - die Verhaltenstherapie und verwandte Ansätze hinzuzählen.
Eine interessante neue Perspektive wartet auf uns, wenn wir die Persönlichkeit nicht als kausal mit unserem Verhalten verknüpft verstehen: eben so, wie die Forschung uns das zu suggerieren scheint. Persönlichkeit bedeutet hier, dass ein z.B. Verhalten einfacher fällt und dadurch womöglich öfter gewählt wird, als ein anderes, ähnlich zu einer Gabelung, die zur einen Seite auf einem gepflasterten Weg, auf der anderen Seite einem kaum betretenen Dschungel führt.

Eine Hilfreiche Perspektive zum therapeutischen Umgang hiermit kann Metapersönlichkeit sein. Als Metapersönlichkeit können wir, anstatt der herkömmlichen Dimensionen (je nach Modell) wie Extraversion, Neurozitismus, Offenheit für Erfahrungen, usw., die Flexibilität innerhalb der Dimensionen fokussieren. Das bedeutet: anstelle der Tatsache, wie extravertiert oder introvertiert eine Person ist, können wir unter dem Gesichtspunkt der Metapersönlichkeit die Flexibilität der Person, von der eigenen Tendenz zum einen oder anderen abweichendes Verhalten zu zeigen, betrachten.
Das heißt: wir interessieren uns dafür, wie einfach eine introvertierte Person, sofern es die Situation erfordert, extravertiertes Verhalten zeigen kann. Die Einfachheit lässt sich anhand objektiv anhand von Häufigkeit feststellen, aber auch subjektiv anhand des Erlebens (z.B. von erforderter Überwindung oder innerem Widerstand).
Flexibilität und Valenz
In der metakognitiven Analyse bezeichnen wir die Fähigkeit, sich mit Leichtigkeit außerhalb der eigenen Persönlichkeitsstruktur verhalten und erleben zu können, als Flexibilität. Die Flexibilität ist eines der wichtigsten Faktoren für die Valenz, d.h. die Wertigkeit, unseres Erlebens und damit natürlich einer der zentralen Grundsteine mentaler Gesundheit.

Die Valenzforschung suggeriert, dass sich die Wertigkeit unseres Erlebens relativ vereinfacht in einer simplen Gleichung abbilden lässt. Wenn δ unser innerer Zustand, σ der Anspruch der Außenwelt an uns, und φ die erlebte Valenz ist, dann gilt:
Decken sich Zustand und Anspruch der Außenwelt, erleben wir selbst objektiv schwierige Situationen als positiv valent, das heißt als positiv wertig. Doch umgekehrt können selbst objektiv positive Situationen als negativ erlebt werden, wenn innerer Zustand und Anforderungen von außen nicht zusammenpassen.
Man denke hierfür an einer sich in ihrem aktuellen Zustand nach Ruhe und Stille sehnenden Person, die sich auf einer Party befindet. Oder eine Person, die in einem freudig aufgeregten, abenteuerlustigen Zustand ist - sich allerdings auf einem silent retreat in einem Kloster befindet. Beides kann zu negativer Valenz führen - sofern die Person den inneren Zustand nicht anpassen kann. Eben diese Fähigkeit wird mit dem Metapersönlichkeitsaspekt der Flexibilität erfasst: die Fähigkeit, den inneren Zustand zu wechseln, um die eigene Valenz zu erhöhen. Vor allem dann, wenn die Außenwelt nicht veränderbar ist.
Die Brücke von Flexibilität zu Metakognition ist sehr leicht zu schlagen, denn diese Art der Flexibilität erfordert metakognitives Bewusstsein über den eigenen Zustand, um die Veränderbarkeit strategisch zugänglich zu machen. Ist der Zustand nur kognitiv bewusst, wird er als gegeben erlebt und ist dem strategischen Denken nicht zugänglich. Ähnlich zum Lesen ohne Metakognition, wobei wir das Gelesene hinnehmen und das übersprungene oder nicht verstandene übergehen. Ohne Metakognition gibt es während des Lesens keine Arbeit am Lesen - sondern nur das Lesen. Die Metakognition ermöglicht das Arbeiten und Verändern des Lesens während des Lesens.
Ähnlich erlaubt es die Metakognition, die Zustände zu verändern, während wir sie erleben und uns ihnen entsprechend verhalten. Dadurch zeigt sich die große Bedeutung des metakognitiven Bewusstseins unserer inneren Zustände für die Flexibilisierung unseres Erlebens und Verhaltens.